INTERNATIONALE KUNST IM SCHLOSS RUHPOLDING

  

  
  

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Marc Dietel
Zeichnung

(Marc Dietel, Zeichnung 621, 2008, 70x50cm, Tusche und Buntstift auf Papier)

Der Zeichner als Polarforscher

Zu den Linienexplorationen Marc Dietels

Wer mit dem Stift in der Hand auf dem Papier eine Linie zieht, setzt mit dieser Tätigkeit eine Grenze. Unterhalb von Hand und Unterarm liegt das bekannte Land. Die Bleistiftspitze am Ende der Linie stößt mit jedem Vorrücken in unerforschtes Gebiet vor. Den Zeichner darf man sich also durchaus auch als einen Grenzgänger, als einen Forscher, einen Entdecker von „terra incognita“ vorstellen. Es bietet sich in diesem Metaphernumfeld die Figur des Polarforschers an, der mit seiner Expedition in die unbekannten Gebiete des weißen Eises vorrückt, um sie zu vermessen, zu erkunden und zu benennen. Der Zeichner Marc Dietel, Jahrgang 1966, betätigt sich als Polarforscher auf dem Papier. Mit dem Stift in der Hand besucht er die Gebiete der totalen Weiße. Auf ihrer Oberfläche hinterlässt er eine dunkle Spur, die sich langsam und allmählich von der bloßen abstrakten Linie zu einem Etwas an Bedeutung – zu einer Figur – verwandelt und vervollständigt. Dieses Phänomen der Gestaltwerdung ist dann besonders eindrücklich, wenn der Magier der Linie nur mit einer einzigen Linie arbeitet. Oft bedient sich Marc Dietel dieses Verfahrens der Unilinearität, um eine Geschichte aus der Weiße des Papiers zu konturieren. Der Betrachter ist dabei stets erneut fasziniert von dem Glauben, dass diese Liniengeschichte immer schon in der Weiße des Papiers enthalten war und nun vom Zeichner zur Kenntlichkeit gebracht wurde. Deshalb fallen im Zeichner die Funktionen des Entdeckers und des Er-forschers zusammen: Er entdeckt, was als Potenzialität im Medium bereits enthalten gewesen sein mag. Und der Zeichner erforscht zugleich mittels seines Duktus wie der Rhythmisierung seines Striches die Bedeutungswelten und das Symbolisierungsvermögen seines gestaltenden Liniengeflechts.
Dem Medium der Zeichnung und dem Aspekt der Weiße, der sich dabei sofort einstellt, kann sich der Betrachter auf zwei komplementäre Weisen nähern. Zum einen kann er den Akzent auf die weißen, vom Stift unberührten Stellen legen, so dass ihm die Zeichnung zu einer Kunst des Weglassens und weißer Inseln wird. Die Werke Marc Dietels betrachtend wird schnell deutlich, dass hier jemand den anderen Weg geht, um gerade die leeren weißen Stellen und Flecken zu vermeiden. Der Strich kultiviert die gesamte Fläche, wobei er sich nicht scheut, Formen des Ornamentalen anzunehmen, freilich in Vermeidung monotoner Wiederholungen. Eher überwiegt das aus der Chaostheorie geläufige Prinzip der Selbstähnlichkeit. Den Bogen weißen Papiers verwandelt der Künstlerforscher aus einem Stück bloßer Natur in ein Zeugnis menschlicher Natur und Tätigkeit. Man mag bei seinen Zeichnungen durchaus an Hautstücke denken. Mit der Haut eint seine Zeichnungen, dass auf ihnen nichts Unstrukturiertes mehr vorkommt oder, etwas vorsichtiger formuliert: Alles verborgen bereits Strukturierte ist mit Hilfe des Spuren hinterlassenden Stiftes deutlich geworden. Selbst die Narbe oder scheinbare Anomalie ist in dieses Liniengeflecht eingebunden und hat in ihm ihren eigenen, individuellen Ort gefunden. Vom bloßen weißen Papier geht offenbar für den Künstler generell eine beunruhi-gende Wirkung aus, die er mit dem Stift in der Hand zu bändigen sucht – Zeichnen als Mittel gegen den „horror vacui“ auf dem Papier und in einem selbst.

Rüdiger Heise

(Marc Dietel, Zeichnung 603, 2008, 26x42cm, Tusche und Buntstift auf Papier)

Auf der linken Seite sehen Sie eine Auswahl der verfügbaren Zeichnungen, vor Ort in der Galerie Kaysser stehen noch weitere auf Wunsch zur Verfügung. Bilder der aktuellen Ausstellungsräume sehe Sie hier.

Marc Dietel hat ein kleines Video erstellt, in der er exemplarisch an einem Grafiktablett den Entstehungsprozess seiner Zeichnungen vorführt. Viel Vergnügen:


Vita

  • 1966 geb. in Mainz
  • 1986 - 1990 Studium Malerei und Grafik-Design in München
  • seither Tätigkeit als freischaffender Künstler

Ausstellungen

  • 2009 | „Unilineare Zeichnungen“ Katalog und Einzelausstellung
    Galerie Kaysser München
  • 2009 | Einzelausstellung Galerie Kontrapost, Leipzig
  • 2008 | Gruppenausstellung Galerie Kontrapost, Leipzig
  • 2007 | anläßlich der documenta 12 Kassel,
    Station 15 „Farandole“, Einzelausstellung
  • 2006 | Gruppenausstellung Stadthalle Senden, Toskanische Säulenhalle Augsburg
  • 2005 | Einzelausstellung Stadtforum Günzburg,
  • 2005 | Sonderausstellung ABRAXAS, Augsburg
  • 2005 | Gruppenausstellung Kloster Irsee, Kaufbeuren
  • 2004 | Preisträger der Zentgraf-Stiftung, Andechs
  • 2003 | anläßlich der documenta 11 Kassel, Kraftfeld in der Markus-Kirche Kassel
  • 2002 | Atrium Friedrichstrasse Berlin, Kraftfeld
  • 2001 | Einzelausstellung Galerie am Dom-Capitol, Berlin
  • 2000 | Einzelausstellung Hofgalerie Friedrichstrasse, Berlin